Gesangsunterricht kann gut oder schlecht seinSeit 2010, kurz nach dem Tod meines Mannes, gebe ich hier in München Gesangsunterricht und Stimmtraining. Damals kam ein junges Mädchen zu mir, die unbedingt Sängerin werden wollte, aber nicht so recht wusste, ob das stimmliche Material dafür reicht. Sie bat mich,  ihre gesanglichen Fähigkeiten zu beurteilen. Nachdem ich mir ein Bild von den stimmlichen Leistungen gemacht habe, sagte ich ihr, dass sie ein gutes Material hätte. Aber eben noch nicht mehr. Sie drückte auf die Stimme, forcierte in der Höhe recht stark und hatte absolut keinen sängerischen Atem. Zudem hatte sie einige Unarten, indem sie z. B. eine Gluck-Arie mit einem Pop-Ansatz sang und von unten den Ton anschleifte.

Es stellte sich dann heraus, dass sie schon wohl mehr als 2 Jahre Gesangsunterricht hatte. Dies ist für mich eine unfassbare und nicht verständliche Situation. Sie kam dann zu mir in den Unterricht. Ich habe etwa 1 ¼ Jahre gebraucht, die schlechten Angewohnheiten, die sich bereits im Unterbewussten manifestiert hatten, zu eliminieren. Sie bekam mit der Zeit  eine wunderschöne, kraftvolle und ausdrucksstarke  Stimme mit langem Atem und weicher Höhe.

Leider stellt sich in der Praxis immer wieder heraus, wie unverantwortlich manche Gesangslehrer mit Stimmen und auch vor allem jungen Stimmen umgehen. Einfach sie drauf lossingen zu lassen ist doch kein Ausdruck von Professionalität. Gerade heute hat mir wieder eine Schülerin gesagt, dass ihre damalige Lehrerin sie hat einfach singen lassen. Keine Arbeit an Artikulation, an Stütze oder Atem. Sie kam aus jeder Stunde und war heiser und hatte am nächsten Tag Kehlkopf- und Stimmbandbeschwerden. Dies ist leider kein Einzelfall.

Sind Gesangslehrer wie Gebrauchtwarenhändler?

Mein Mann prägte einmal den Satz „Gesangslehrer sind wie Gebrauchwagenhändler“. Du weißt nie, was du bekommst. Leider ist das heute immer noch in vielen Fällen so. Das soll nicht heißen, dass es nicht viele sehr gute Pädagogen für die Stimme gibt. Ich persönlich kenne einige wirklich gute Lehrer. Aber es gibt eben auch die, die Stimmen an den Rand des Ruins treiben. Wenn man bedenkt, wie viel Geld, Zeit und Herzblut da rein gesteckt wird, weil man besser singen möchte, dann sollte man achtsamer mit der Materie umgehen. Abgesehen davon haben wir nur diese eine Stimme. Es gibt keine neuen Stimmbänder …

Aber für viele ist es halt leicht verdientes Geld. Lassen wir mal ein paar Stunden singen, dann kommt die Kohle rein, aber tun muss man da nicht viel. Dies ist haarsträubend und zutiefst verachtenswert. Solche Beispiele sind es auch, die einen ganzen Berufsstand in einen zweifelhaften Ruf bringen. Das kommt schon nah dran an das Sprichwort: „Was ist Gesangsunterricht? Du gehst als Nachtigall hinein und kommst als Spatz raus“.

Natürlich kostet es mehr Energie und Kraft, Stimmen auf den richtigen Weg zu bringen. Damit meine ich nicht unbedingt Sängerstimmen. Jeder, der singen möchte, sollte so unterrichtet werden, dass er fähig ist, wirklich mehr aus seiner Stimme rauszuholen, dass er zu seinem eigenen Timbre findet. Er sollte vor allem auch mit dem Atem besser umgehen können. Denn daran haperts bei den meisten. Zudem hilft das auch im Alltagsleben.

Die Arbeit eines Gesangspädagogen

Bei den oben angesprochenen „Lehrer“-Typen wird nichts davon unterrichtet. Die meisten davon wissen nicht mal, was eine Stütze ist, zumindest wissen es die Schüler nicht, weil sie nicht fähig sind, es zu erklären. Es wird irgendwas Diffuses von Bauchatmung gefaselt, aber nichts erklärt.

Man sollte als Gesangspädagoge genau hinhören und erkennen, wo die Fehler gemacht werden. War es die falsche und verkrampfte Zungenstellung oder die fehlende Stützarbeit? Oder liegt es an etwas anderem. Diese Dinge zu unterscheiden bedarf es eines genauen Hinhörens, Zuwendung und Wissen. Sicher ist das vielleicht für den ein oder anderen unbequem. Aber es ist unumgänglich, wenn man verantwortungsvoll unterrichtet.

Absichtlich gehe ich hier nicht auf die emotionale Seite ein, obschon sie unbedingt ohne Zweifel dazu gehört. Sie fördert zumeist schon die richtigen Körperspannungen. Doch das allein reicht nicht aus, um eine klare, präsente und mit der Persönlichkeit identische Stimme zu erhalten. Die oben angesprochenen Lehrertypen gehen oftmals nur über die Gefühlsebene.

Das allein ist jedoch zu wenig. Ich kann auch nicht Ski fahren, nur weil ich den Schnee und die Sonne so toll finde. Es braucht immer Training und Ausbildung dazu. Die zarten Stimmlippchen sind letztendlich auch nichts anderes als Muskeln, die trainiert werden wollen. Dazu gehört nun mal die ganze Körperarbeit obendrein. Denn alles ist beim Singen beteiligt.

Je länger ein Mensch mit falschen Einstellungen spricht oder singt, desto schwieriger wird es, diese wieder im Körperbewusstsein umzustellen. Wenn er dann noch jahrelang falsch trainiert worden ist, dauert es umso länger.

Im Fall meiner Schülerin vom Anfang hat es sich gelohnt. Doch hätte sie sich Geld und Zeit sparen können, wäre sie von Anfang an bei einem verantwortungsvollen Lehrer gelandet. Doch das kann anfangs niemand beurteilen, deshalb trifft diese Menschen keine Schuld. Das Vergehen an der Stimme haben allein diese faulen und verantwortungslosen Lehrer zu tragen, die die Stimmen fast ruinieren.

Ja, mich macht das wütend, weil es ja leider kein Einzelfall ist. Ich habe selbst in meinen Anfangsjahren mit schlechten Lehrern zu tun gehabt. Allein das ist ein Grund, immer weiter auch mein Wissen zu erweitern und mein Bestes zu geben, wenn ich unterrichte.