Gib der Stimme Raum Ein langer Unterrichtstag ist zu Ende. Und es hat sich wieder einmal gezeigt, dass intensives Arbeiten an Körper und Stimme sich in jedem Fall lohnt.

Stimmprobleme durch falsche Kieferstellung

Eine meiner Gesangsschülerinnen, ich nenne sie Frau E., kam heute zur gewohnten Unterrichtsstunde und war überschwenglich vor Freude. Sie ist von Grund auf eine positive und freudestrahlende Natur, aber heute war sie besonders powervoll und fröhlich. Und es hielt sie nicht lange, als temperamentvolle Südamerikanerin sprudelte es aus ihr heraus:

Sie hielt nach einer anstrengenden Woche ihre Wochenendseminare und war weder heiser noch hatte sie die Spur von Halsschmerzen.

Zur Vorgeschichte: Sie kam vor etwa 3 Monaten zu mir mit extremen Stimmproblemen. Sie ist selbstständig, arbeitet aber auch in einer großen bekannten Firma in der oberen Etage.  Als Selbstständige hält sie zusätzlich zu ihrer vollen 5-Tage-Woche an sehr vielen Wochenenden je 8 Stunden-Seminare.

Bevor sie in den Unterricht kam, hatte sie extreme Beschwerden nach stundenlangem Reden. Sie sprach von richtigen Schmerzen im Hals- und Kehlkopfbereich und dass sie manchmal zwei Tage nach den Seminaren oder Workshops noch Heiserkeit und leichte Halsschmerzen hatte.

Nach den ersten Stunden bei mir verbesserte sich dies bereits signifikant. Denn ich arbeitete nicht nur – wie ich es immer mache – als erstes an einer guten Atemführung, sondern schaute mir auch an, was sie mit dem Kiefer machte. Hier mussten wir ran. Sie schob den Unterkiefer manchmal zu weit vor, verkrampfte dadurch auch die Zunge. Durch den Druck, der hier im hinteren Gaumen und auf den Kehlkopf entstand und zusätzlich durch die schlechte Atemführung, wenn man von solcher überhaupt reden konnte, entwickelten sich die unangenehmen Schmerzen. Die Stimmlippen litten hier besonders unter der enormen Belastung. Sie waren schlichtweg beleidigt.

Resonanzräume entdecken

Auch die Kopfresonanz war anfangs neu für Frau E. Bisher sang sie mit voller Bruststimme … Kopfresonanz und diese auch noch mit der Brustresonanz verbinden, das war für sie echtes Neuland. Desto größer die Überraschung, als sie plötzlich ihre eigene Stimme nicht wieder erkannte  … im positiven Sinn natürlich.

In der letzten Woche klagte sie noch, dass sie sehr müde sei wegen des hohen Arbeitsaufkommens in der Firma und dass sie wieder ein volles Wochenend-Seminar halten müsse. Und eine leichte Erkältung machte sich auch breit.

Ich arbeitete darauf nochmals gezielt mit Atem-, Artikulations- und Entspannungsübungen. Brachte ihr nochmals die Stütztätigkeit ins Gedächtnis und ließ sie beim Singen die Kopfresonanzen entdecken.

Großen Wert legte ich dabei darauf, dass sie das hintere Gaumensegel hochhielt und den Rachen weit machte. Immer wieder stellten wir fest, dass zudem die Zunge unbewusst nach hinten gezogen wurde und so ebenfalls auf den Kehldeckel drückte. Überhaupt muss ich sagen, dass die Zunge häufig ein Übel darstellt. Sie verkrampft sich und ein freier Ton wird damit verhindert.

Dabei sollte sie immer wieder ihre Kiefergelenke kontrollieren, damit sie den Unterkiefer nicht zu weit nach vorne schob.

Zu guter Letzt zeigte ich ihr, wie sie sich zwischen den Vorträgen und Erklärungen immer wieder schnell entspannen könne. Wie sie sich während des Sprechens vor allem auch immer wieder weiten könne und so der Stimme auch mehr Volumen verleiht. So kommt hier immer und immer wieder mein Motto zur Ausübung: Gib der Stimme Raum.

Ich arbeitete rhetorisch an der Sprechweise, z. B. zeigte ich ihr u.a., wie sie auch innerhalb der Sätze mit Pausen gezielt zur Ruhe kommen kann.

Entspannung im Reden und in Diskussionen durch gute Atemführung

Und heute nun erzählte sie mir freudestrahlend, wie sie immer wieder an die Tiefenatmung dachte, an den offenen Rachen und wie ihr das alles geholfen hat. Die Stütze in Zusammenarbeit mit dem locker offen gehaltenen Brust- und Rückenraum ist nämlich ein perfektes Team, das die Stimmlippen bei richtiger Benutzung optimal entlastet und unterstützt.

Weiter teilte sie mir voll Stolz mit, dass sie es geschafft hat, einen äußerst nervigen Seminarteilnehmer in absolut ruhigem Ton unter Kontrolle zu halten. Und dies nur durch die Atemübungen, die sie sich immer wieder ins Gedächtnis rief.

Zum Abschluss lässt sich sagen, dass Gesangsunterricht enorm zur Verbesserung der Sprechqualität beiträgt. Deshalb sollte sich niemand scheuen, wenn er Stimmbildung betreiben will, Gesangsunterricht zu nehmen. Denn beim Singen muss ich noch stärker auf alles achten, was eine Stimme wirklich ausmacht. Beim Sprechen benötige ich Atem, Stütze und Mund- und Rachenraum natürlich genauso, nur nicht ganz so intensiv wie beim Singen. Die Kontrolle über die Werkzeuge erlerne ich in jedem Fall stärker über den Gesang.